Über 30 Jahre Wiedervereinigung
„Ehrlich gesagt, wir wissen über all diese Dinge nichts. Darüber müssen die Menschen informiert werden.“
Das Zitat basiert auf der Aussage eines „Wessis“ nach einem Vortrag der sächsischen Politikerin (SPD) Petra Köpping zu den „Nachwendezeit-Erfahrungen“ in Ostdeutschland. 30 Jahre sind seit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten vergangen und für die heutige Schülerinnen- und Schülergeneration gehört dieser Abschnitt der deutschen Geschichte einer nahezu weit entfernten Vergangenheit an, die sie v. a. aus dem Geschichtsunterricht kennen. Dennoch sind den meisten Schülerinnen und Schülern wahrscheinlich die Kategorien „Ost“ und „West“ geläufig, diese haben sich trotz aller Angleichungsfortschritte beharrlich über 30 Jahre hinweg gehalten. Nach wie vor spiegeln z.B. Erhebungen zu wirtschaftlichen und sozialen Indikatoren wie Produktivität, Infrastrukturdichte, Vermögensverteilung, Einkommenshöhe oder zur demographischen Struktur ebenso wie das Wahlverhalten den Verlauf der einstigen Grenze (vgl. Friedel in APUZ 28-29/2020, S.03). Während Westdeutschland meist als Maßstab gesetzt wird, an dem die ostdeutschen Entwicklungen gemessen werden, wird „ostdeutsch“ häufig „zur Markierung einer vermeintlich defizitären Angelegenheit.“ (ebenda) Gleichwohl diese Zuschreibungen falsch und statisch auch nicht haltbar sind, wachsen auch heutige Jugendliche z.T. mit diesen klischeehaften Zuschreibungen auf, weshalb eine Auseinandersetzung mit der deutsch-deutschen Geschichte unabdingbar sein sollte. Dabei empfiehlt sich v.a. auch für Westdeutsche der Mut zum Perspektivenwechsel und das offene Ohr für die „andere“ Seite.
Der Osten mehr als ein Klischee - Antwortversuche nach 30 Jahren
Ausgehend von zwei verschiedenen Filmen aus der Reihe RESPEKT - Demokratische Grundwerte für alle der ARD alpha wollen die Unterrichtssequenzen mit Vorurteilen und Klischees aufräumen, dabei aber kritisch bestimmte Sachverhalte beleuchten.
Hauptfilm: Der Osten - mehr als ein Klischee
Videodauer: 28 Minuten
Thema der Unterrichtssequenz: Der Osten - mehr als ein Klischee? Antwortversuche nach 30 Jahren (I)
Schularten: Mittelschule, Realschule, Gymnasium
Jahrgangsstufen: 9- 12
Zeitumfang: 90 Minuten
Ausgehend vom Film setzen sich die Schülerinnen und Schüler in diesen beiden Stunden mit Klischeebildern auseinander und vergleichen diese mit realen Lebenserfahrungen von Menschen aus den neuen Bundesländern. Sie erfahren wie vielfältig und ambivalent sich die Erfahrungen der Menschen mit der Wiedervereinigung darstellen.
Vorschlag für ein Arbeitsblatt zum Film konzipiert für den Unterricht in einer Mittelschule
„Gerechtigkeit - Voraussetzung für die Demokratie"
Videodauer: 28 Minuten
Thema der Unterrichtssequenz: Der Osten – mehr als ein Klischee? Antwortversuche nach 30 Jahren - Gerechtigkeit
Schularten: Mittelschule, Realschule, Gymnasium
Jahrgangsstufen: 9- 12
Zeitumfang: 90 Minuten
Die Stunden dieser Einheit basieren auf einem Respektfilm zum Thema Gerechtigkeit. Die Schülerinnen und Schüler setzen sich u. a. damit auseinander, was das „Lebensgefühl des Unterprivilegiertseins“ ausmacht und wodurch es zustande kommen kann.
Weitere Stundenvorschläge
Alle hier abgebildeten Stunden wurden im Rahmen des Arbeitskreises „Politische Bildung" von den AK-Mitgliedern an ihren jeweiligen Schulen konzipiert und erprobt. Die Schulart, an der die Stunde erprobt wurde, ist nachfolgend hervorgehoben. Mit entsprechender Modifikation können die Stunden auch an anderen Schularten durchgeführt werden.
Unterrichtsvorschlag „Wir 80 Millionen - was Deutschland eint."
Schulart: Mittelschule, Realschule, Gymnasium
Jahrgangsstufen: 8 - 12, Dauer 90 - 120 Minuten
Die Unterichtsstunde basiert auf einer Filmdokumentation, die sich mit den durch empirischen Studien belegten Unterschieden zwischen Ost- und Westdeutschen auseinandersetzt. Die Dokumentation verfolgt dabei einen neuen Ansatz und fragt: Gibt es einen gemeinsamen Nenner, auf den sich Westdeutsche, Ostdeutsche und Menschen mit Migrationshintergrund einigen können?
Unterrichtsvorschlag zum Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2020
Schulart: Mittelschule, Realschule, Gymnasium
Jahrgangsstufe: 8-12, Dauer 90 - 120 Minuten
Der Bericht der Bundesregierung bietet umfangreiches Datenmaterial, mit dem die Schülerinnen und Schüler sowohl ihre Methodenkompetenz schulen als auch fundierte Urteile zum aktuellen Stand der Deutschen Einheit fällen können, wie dieser Stundenentwurf zeigt.
Unterrichtsvorschlag: „Ostalgie“ oder Alptraum? - Leben vor und nach der Wende
Schulart: Mittelschule, Realschule, Gymnasium
Jahrgangsstufe: 9- 13, Dauer 45 Minuten
In der Unterrichtsstunde setzen sich die Schülerinnen und Schüler eines Filmes mit verschiedenen Sichtweisen auf die ehemalige DDR auseinander.
Unterrichtsvorschlag: Meine Wende, unsere Einheit? - Erinnerungen an die DDR und
30 Jahre Wende
Schulart: Mittelschule, Realschule, Gymnasium
Jahrgangsstufe: 9- 13, Dauer 45 - 90 Minuten
Die SuS setzen sich in der Stunde anhand von Erinnerungen ehemaliger Bürgerinnen und Bürger der DDR mit verschiedenen Perspektiven auf die Deutsche Einheit auseinander.
Hinweise auf Materialien, Themenportale, Videos rund um das Thema 30 Jahre Wiedervereinigung
Rezensionen zu Materialien - von Lehrkräften für Lehrkräfte gesichtet
Die vorliegende Zeitschrift thematisiert nach einer kurzen Einleitung (Eckhard Jesse) aus ganz unterschiedlichen Perspektiven zentrale Aspekte der politischen Entwicklung in Deutschland nach 1989/90. Die Beiträge lassen sich grob drei Gruppen zuordnen.
Zunächst finden sich einige Überblicksdarstellungen, die sich allerdings schwerpunktmäßig nur – und das ist sicher ein Manko aus der Perspektive von dreißig Jahren – mit den Wendejahren, historisch rückgebunden an eine knappe Skizze der Geschichte des SED-Diktatur, 1989 (Gerhard Sälter) und 1990 (Eckhard Jesse) beschäftigen. Der dritte – wirtschaftsgeschichtliche – Beitrag in dieser Reihe holt insgesamt weiter aus, indem er sich auf die DDR insgesamt und auf die Zeit der Einheit bezieht. Hier zu verorten ist auch ein Aufsatz, der sich mit der Ost-West-Frauengeschichte nach 1990 in ihrer wechselseitigen Durchdringung auseinandersetzt. Dieser verspricht zumindest durch den Fokus einen etwas innovativen Ansatz. Die oben genannten Arbeiten bieten dagegen eher solide Überblicksdarstellungen auf einem etwas höheren Schulbuchniveau, fallen aber doch durch eine gewisse Einseitigkeit auf, da sie die Widersprüche in der Geschichte der DDR wie auch der Wiedervereinigung nicht wahrnehmen (wollen) und allzu finalistisch argumentieren. So kommt man gar zu dem Schluss, dass der Ablauf der Ost-Integration letztlich „alternativlos“ (S. 24) abgelaufen sei, verlässt man die Perspektive einer (kritischen) Geschichtswissenschaft. Denn wo es keine Alternativen gibt, da gibt es auch nichts zu forschen und zu deuten.
Daneben finden sich eine Reihe von Beiträgen, die der empirischen Sozialforschung zuzurechnen sind und die es sich zur Aufgabe gemacht haben, gängige und publizistisch weitgestreute Selbst- und Fremdeinschätzungen, vor allem die politische Kultur betreffend, durch teils innovative Konzepte und Forschungsmethoden zu untermauern bzw. zu korrigieren. (Vgl. die Beiträge von Wolf Wagner, Everhard Holtmann, Erik Volkmann u.a.). Auf diese soll hier nicht weitereingegangen werden; sie bieten solide Informationen und reichhaltiges statistisches Material, das sich auch unterrichtlich gut einsetzten lässt, wenn man dem entsprechenden, doch recht spezifischen Fokus setzen will
Am interessanten und anregendsten sind einige Artikel, die man als subjektive Erfahrungsbericht aus dem Ost-West-Dialogs bezeichnen könnte; „Wessis“ setzen sich so auf unterschiedliche Art der Erfahrung Ost aus. An erster Stelle ist hier Markus Decker zu nennen mit seinem sehr lesenswerten Text „Einsichten eines „Wessis“: Die Geschichte einer Entfremdung“ (32-38). Darin stellt er seinen journalistischen Werdegang vom jungen „West-Volontär“ bei einem „Ost-Blatt“ zu einem enkulturierten „Sekundär-Ossi“ dar. Seine zweite Identität wird dann aber zunehmend gebrochen durch die erlebte Rechtsradikalität vor Ort, auf den Höhepunkt getrieben nach 2015 – bis hin zur gewalttätigen Abwehr flüchtender Menschen. Da dieser Prozess nicht als sachlicher Bericht daherkommt, sondern als Folge von kleinen „Alltagsminiaturen“ gestaltet ist, die ganz dicht an der erlebten Geschichte dran sind gewinnt dieser Text ein hohes Maß an Intensität, da er sozusagen von innen auf eine Entwicklung schaut, die wir sonst nur von außen kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen. Einen ähnlich individuellen Ansatz verfolgt Jo Berlin, der unter der Überschrift „Aber in dreißig Jahren redet keiner mehr davon“ (S. 26-31) seine Erfahrungen mit dem „Nachwende-Deutschland“, vor allem in Begegnungen Menschen in oder aus der DDR, in einigen zeitlich gestaffelten Episoden darstellt. Daraus entwickelt er eine Art vergleichende „Ost-West-Anthropologie“, in der er dem „Ossi“ den stärkeren Aufbruchsgeist zuschreibt, allerdings gibt zu bedenken: „In 30 Jahren werden die Menschen in Ost und West die gegenläufige und oft konfrontative Sozialisation in zwei politischen, wirtschaftlichen, sozialen Systemen vergessen und überwunden haben.“ (S. 31)
Der zuletzt hier anzuzeigende Beitrag fällt etwas aus der Reihe, obwohl man ihn durchaus als narrative Variante den sozialwissenschaftlichen Untersuchungen zuordnen könnte. Es handelt sich um ein an der Universität Konstanz durchgeführtes Oral-History-Projekt unter der Federführung von Christiane Bertram, das für sich beansprucht, das erste Mal ein ost-west-integratives Generationenporträt mit dem Titel „‚Generation 1975 – Mit 14 ins neue Deutschland‘ Blick vom Osten und Westen in die deutsche Teilungsgeschichte“ zu zeichnen (S. 81-88), bei dem „der Fokus darauf (liegt), was die Teilung mit dem Westen und dem Osten gemacht hat und was sich nach 1990 in den alten und neuen Bundesländern änderte.“ (S: 81) Dazu wurde ein repräsentatives Sample von 26 Personen ausgewählt, die durch ihre Erzählungen Folgendes klären sollen: „Wie haben die Zeitzeug*innen aus dem Osten und aus dem Westen das Nebeneinander und die Konkurrenz von zwei gesellschaftlich und politisch verschiedenen Systemen, den Mauerfall und die Transformation nach 1990 erlebt. Ein Wertung der ersten Ergebnisse, das Projekt ist noch nicht abgeschlossen – zeigt eigentlich Erwartbares: Desinteresse am Osten im Westen, Ablehnung, aber auch Bewunderung im Osten für den Westen, eine behütete Kindheit in Ost und West usw. Wen wundert es da, dass auch die Wiedervereinigung unterschiedlich erlebt wurde. Vermutlich liegt das Interessante an diesem Projekt eher in seiner mikrologischen Struktur, da auf diese Weise die große Geschichte auch in den persönlichen Erfahrungshorizont von Schülerinnen und Schülern hereingeholt werden kann. Da die Interviews von der Universität Konstanz didaktisch aufbereitet und von der Stiftung Berliner Mauer dann zugänglich gemacht werden, kann man hoffen, mit diesem Material auch irgendwann im Unterricht zu arbeiten.
Fazit: Das Heft bietet insgesamt recht unterschiedliche und auch einige wirklich interessante Beiträge, die durch ihre ungewohnten Perspektiven überraschende Einblicke in das Thematik erlauben. Sicher hätte das Heft an Profil gewonnen, wenn man sich die – an vielen anderen Stellen ebenso nachzulesenden – „Überblicke“ gespart hätte. Sinnvoller wäre es gewesen, die aktuelle und kontroverse Diskussion um das politische Profil der Wende, die Arbeit der Treuhandanstalt und die soziologische/sozialgeschichtliche Charakterisierung der Entwicklung im Osten aufzugreifen. Die Veröffentlichungen von Daniela Dahn, Petra Köpping sowie Ilko-Sascha Kowalczuk und die Diskussion um ihre Positionen wären doch einen klärenden Analyse wert gewesen. Eckhard Jesse nennt zwar Namen, tut aber ihre Positionen vorschnell ab (vgl. S. 11). Das ist wohlfeil und sicher zu wenig – angesichts der Dynamik und Verwerfungen, die dieser Diskurs noch immer zeitigt.
Degner, Bettina/Mühleis, Christian: 30 Jahre Deutsche Einheit, Stuttgart 2019, 64 S. ( = Politik und Unterricht. Zeitschrift für die Praxis der politischen Bildung, 4/2019, hrsg. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg)
Das vorliegende Heft, das sich primär an Schülerinnen und Schüler des Fachs Gemeinschaftskunde der Sekundarstufe I wendet, darüber hinaus aber auch einen fachübergreifenden Anspruch erhebt, beschäftigt sich mit dreißig Jahren deutscher Einheit, will diese aber, wie das Editorial ausführt, exemplarisch „anhand ausgewählter Fallbeispiele und Themenfelder“ (S. 1) erschließen.
Vier „Bausteine“ thematisieren wichtige Aspekte des Schwerpunktes: politische („Friedliche Revolution und Wiedervereinigung“, S. 10-20), wirtschaftliche („Von der Plan- zur Markt-wirtschaft: Das Beispiel Carl Zeiss Jena, S. 21-35), gesellschaftliche („Die Bundesrepublik im Wandel“, S. 36-47) und „glokale“ („Aktuelle Herausforderungen nach 30 Jahren Wiedervereinigung“, S. 48-60) Anliegen stehen dabei im Zentrum. Zu allen Themen werden Materialen ganz unterschiedlichen Zuschnitts – Texte, Bilder, Statistiken und Diagramme – angeboten.
Eine Einleitung umreißt in groben Strichen die wesentlichen Entwicklungen der Jahre 1989/90, stellt deren Folgen bis in unmittelbare Gegenwart dann aber – sinnvollerweise – in den größeren Rahmen der Entwicklung der EU und der Globalisierung. Nur so seien die letzten 30 Jahre als eine Reihe „widersprüchlicher und sich wandelnder Prozesse“ (S.3) angemessen zu thematisieren. Diese sachlich überzeugende Perspektive leitet auch die Konzeption der Bausteine an.
Es folgen dann „unterrichtspraktische Hinweise“ zu den einzelnen Bausteinen, die jeweils die zugrundeliegende Fragestellung benennen und die Materialen kurz charakterisieren. (S. 6-8). Schon hier wird immer wieder auf ergänzende Materialen, die online zur Verfügung stehen, verwiesen.
Der erste Baustein greift auf sein Thema zunächst anhand einer zu erarbeitenden Zeitleiste zum Wendejahr zu und bietet dann die Möglichkeit die weiteren Entwicklungen anhand der jeweiligen „Wörter bzw. Unwörter des Jahres“ fokussiert und vertieft zu erarbeiten; das ist eine überzeugenden Idee, die die Schwierigkeit einen derart langen Zeitraum auf den „Begriff“ zu bringen, geschickt umgeht. Im Weiteren wir die Erfahrung der „Wende“ durch Datenmaterial aus einer Umfrage und einen Songtext in den Blick gerückt, der die objektiven Daten in subjektiver Perspektive bricht. Diese wird durch geschickt ausgewählte Zeitzeugenaussagen noch polyperspektivisch erweitert. Anzumerken ist, dass das Material mitunter sehr anspruchsvoll, die Fragenstellungen sehr kleinräumig und rein auf die Kompetenz der „Kenntnis“ abgestellt sind. Auch ist oft nicht ganz klar, welche Lernziele operational erreicht werden sollen.
Von besonderem Interesse dürfte angesichts der aktuellen Diskussion um die Treuhand das Kapitel zur Wirtschaft sein. Sinnvollerweise rücken die Autoren nicht diesen unübersichtlichen, politisch hoch brisanten und auch noch gar nicht richtig erforschten Problemkomplex in den Mittelpunkt, sondern wählen ein konkretes und markantes Beispiel – die Privatisierung des Werkes „Carl Zeiss Jena“ –, wobei sowohl die verschiedenen Akteure als auch die Rahmenbedingungen in den Blick genommen werden. Die Texte, die jeweils unterschiedliche Perspektiven, von unten, von oben und – wenn man so will – von außen bieten, sind gut gewählt und dokumentieren die jeweiligen Perspektive prägnant, doch auf einem sehr anspruchsvollen Niveau, das allerhand wirtschaftspolitische Kenntnisse voraussetzt. Außerdem dürften Schülerinnen und Schülern auch von der Komplexität der Fragestellungen überfordert sein und kaum das nötige Hintergrundwissen einbringen, um das methodisch anvisierte Rollenspiel zu einem Erfolg werden zu lassen. Zumal die Auseinandersetzung noch weitergetrieben werden soll; der hohe Anspruch mag an einem Beispiel exemplifiziert werden: „Eine Darstellung des Transformationsprozesses des Fallbeispiels Carl Zeiss Jena in Material B6 ermöglicht während der Auswertung des Rollenspiels den Vergleich zu den tatsächlichen Abläufen der Privatisierung. Auch die Einschätzung des Wirtschaftshistorikers Werner Plumpe zur Privatisierung des Jenaer Unternehmens (B7) kann in der Auswertungsphase eingesetzt werden. (S. 7) Ist das nicht ein bisschen viel verlangt – angesichts der angezielten Lerngruppe?
Um es vorweg zu sagen, diese Überforderungstendenz kennzeichnet leider auch die beiden weiteren Kapitel zu den Themenbereichen „Deutschland im Wandel“ (S.36-47) und „Aktuelle Herausforderung nach 30 Jahren Einheit“ (S. 48). So dürften die offenen und ohne unterstützendes Material arbeitende Auseinandersetzung mit der „EU“ oder mit den Veränderungen der deutschen Sozialpolitik den Wissensstand der Schülerinnen und Schüler doch sehr strapazieren; überschätzt wird dabei vor allem der historische und thematische Horizont der Lerngruppe. Ähnliches gilt für die Beschäftigung mit der „Außen- und Sicherheitspolitik“, den Veränderungen in der EU und der Entwicklung des Parteiensystems. Insgesamt verführt hier der Anspruch, alle wichtigen Themen anzusprechen, zu einer Vielfalt, die unterrichtlich nur bei sehr engagierten Lerngruppen zu bewältigen ist.
Und auch der letzte Punkt bewegt sich auf dieser Linie. Ohne Zweifel werden auch hier zentrale Aspekte der jeweiligen Fragestellung – von der aktuellen Befindlichkeit im Osten bis hin zu regionalen Disparitäten in Bezug auf die politische Orientierung und das Wahlverhalten – aufgegriffen. Allerdings ist die Fragestellung hier anders akzentuiert, wenngleich nicht weniger anspruchsvoll. Sowohl das angebotene vielfältige Material als auch die globalen Fragestellungen bedingen ein sehr forderndes Lernarrangement. Daneben ist ein weiteres Mal die fehlende Reflexion der Lernziele und Kompetenzbereiche zu erkennen; leicht lässt dies an dem methodisch durchaus sinnvoll ansetzenden Arbeitsaufträgen zur Erschließung der Daten aus dem „Deutschlandatlas“ zeigen (S. 50ff.) Hat man die Datenflut bewältigt und ihre Aussage sprachlich erfasst – war es das auch schon. Wozu man sich diesen Mühen hingegeben hat und was, altmodisch ausgedrückt, der Bildungswert diese Unterfangens sein soll, wird nicht so recht greifbar. Etwas näher an den Jugendlichen sind die beiden zuletzt behandelten Unterthemen – „Einstellungen von Jugendlichen in Ost und West“ und „Arbeiten“.
Fazit: Ein abschließendes Urteil muss somit etwas zwiespältig ausfallen. Zunächst gilt es festzuhalten, dass die Handreichung eine Fundgrube für eine sachlich überzeugende thematische Erschließung von „30 Jahren deutscher Einheit“ darstellt, die an vielen Stellen brauchbare Materialien bietet. Zu bedauern ist, dass die didaktische Reflexion im Vorfeld doch etwas zu kurz gekommen ist. Sowohl die pragmatische, kompetenzorientierte Rückbindung an die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler als auch entsprechend operationalisierte sowie handlungsorientierte Fragestellungen fehlen weitgehend. Allerdings: Auf der Basis des hier Gebotenen lässt sich aufbauen und die versierte Lehrkraft wird das doch recht gute Material an die Bedürfnisse ihrer Lerngruppe anpassen können.
Bundeszentrale für politische Bildung: „Alles Vereint? 30 Jahre deutsche Einheit.“ Themenblätter für den Unterricht, erarbeitet von Frank Britsche, Bonn 2020.
Die in der bewährten Reihe erschienenen Unterrichtsvorschläge zu „30 Jahre deutsche Einheit“ thematisieren auf einfache und materialreiche Art und Weise einige zentrale Aspekte der deutschen Einheit, die für eine erste Annäherung an zentrale Aspekte – Selbst-/Fremdeinschätzung, Umgang mit wirtschaftlichen Problemlagen (Arbeit der Treuhand), Zukunftsperspektiven – geeignet sind. Die klar strukturierten Arbeitsblätter liegen in Heftform (inkl. Kopiervorlagen und Lösungen) und als pdf (zur digitalen Bearbeitung) vor. Sie können in unterschiedlichen Schularten und Jahrgangsstufen zum Einsatz kommen.
Die informative Einleitung betont zunächst die weltgeschichtliche Bedeutung der deutschen Wiedervereinigung, stellt dann anhand einiger Umfrageergebnisse auch die bleibenden Ambivalenzen - vor allem in der Wahrnehmung vieler Ostdeutscher – heraus. In einem knappen Überblick umreißt sie dann die historischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge, die zu den bis heute fortdauernden Abgrenzungen geführt hätten, begrifflich gefasst als Ost-/West-Identitäten. Angesprochen werden dabei die Deindustrialisierung des Ostens, die Arbeit der Treuhand, die fehlende Anerkennung der Lebensleistungen usw., allerdings unter kontrastivem Einbezug der Erfolge des „Aufbaus Ost“. Ein kurzer Blick auf die politische Entwicklung der Wende thematisiert eine gewisse Widersprüchlichkeit zwischen den Erfolgen der Bürgerrechtsbewegung und der folgenden und folgenreichen, weil die Zukunft bestimmende politische Strukturierung durch das westdeutsche Parteiensystem. Bei allem Verständnis, das für die ostdeutsche Mentalität aufgebracht wird, bleibt allerdings der Subtext deutlich greifbar: Die Unzufriedenheit der Ostdeutschen resultiere letztlich aus einer fehlenden Bereitschaft, sich kritisch mit der eigenen Vergangenheit, vor allem mit dem „Unrechtsstaat“ DDR, auseinanderzusetzen und der damit einhergehenden mangelnden Anpassungsbereitschaft. Das ist dann doch wohl ein etwas einseitiger Ansatz.
Die folgenden „Hinweise zu den Arbeitsblättern“ (S. 7) führen zunächst die Lernziele an und erläuterten dann Möglichkeiten des unterrichtlichen Einsatzes der vier vorgelegten Entwürfe. Angesichts des geringen Umfangs der Materialien scheinen die Lernziele als sehr ambitioniert, indem sie versuchen, ganz unterschiedliche Kompetenzbereiche abzudecken. Ob dies gelingt und ob diese alle sich den Arbeitsblättern wiederfinden, ist eher fraglich.
Das erste Arbeitsblatt „30 Jahre deutsche Einheit: „Wie steht es um die ‚Mauer in den Köpfen‘“ widmet sich den aktuellen Unterschieden zwischen Ost und West, die durch eine Karikatur und ein Meinungspuzzle aus ganz unterschiedlichen Stimmen (aus Ost und West) präsentiert werden. Nach einer Erarbeitungsphase sollen Schülerinnen und Schüler aus ihrer Sicht zu den Aussagen Stellung beziehen. Obgleich man hier ein buntes Bild erhält, muss es sich erst noch in der Praxis zeigen, ob diese punktuellen Momentaufnahmen wirklich dazu angetan ist, Lernende in die Lage zu versetzen, eine persönliche, begründete Meinung zu entwickeln.
Das zweite Arbeitsblatt stellt das Thema „30 Jahre deutsche Einheit: Zahlen und Fakten“ in den Mittelpunkt. Ziel ist es hier, anhand unterschiedlichster Umfragen – zu Themen wie Verbesserung der Lebenssituation, Ost-/West-Mentalität, Lebensverhältnisse – eine Art Mentalitätslandkarte zu entwerfen. Auch hier werden sicher viele interessante Aspekte angesprochen, die aber doch etwas fragmentarisch bleiben und auch durch eine angestrebte Rückbindung zum ersten Arbeitsblatt nicht wirklich vertieft werden. Zu bedauern ist auch, dass keine der gestellten Fragen auch nur den Versuch unternimmt, irgendwie an die konkreten, lebensweltlichen Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler anzuknüpfen.
Richtig spannend wird es mit dem Themenblatt Nr. 3, das sich unter dem etwas in die Irre führenden Titel „Feinbilder und Vorurteile“ hauptsächlich mit der Arbeit der „Treuhandanstalt“ beschäftigt. Damit rückt eines der bis heute umstrittensten Themen der Vereinigungsgeschichte in den Fokus. Allerdings, und mehr kann man wohl an dieser Stelle auch nicht erwarten, wird primär auf die „Ost-Wahrnehmung“ in Bezug auf den wirtschaftlichen Umbruch anhand von Zahlenmaterial abgehoben. So erhalten die Schülerinnen und Schüler zumindest einen ersten Einblick. Der angehängte Impuls, mehr kann das hier ja nicht sein, zu Identitäten und Zuschreibungen“ (S. 11) wirkt dann auch etwas deplatziert.
Das die kleine Reihe abschließende Arbeitsblatt stellt sich die Frage: „30 Jahre deutsche Einheit: Wie weiter?“ Anhand einer Karikatur und einer sehr dezidiert den Rassismus im vereinten Deutschland akzentuierenden Text von Lydia Lierek sollen sich die Schülerinnen und Schülern einen Eindruck von der „Umstrittenheit“ des Einigungsprozesses verschaffen, um sich dann als Futurologen zu bestätigen und „Szenarien: Deutschland 2050“ zu entwickeln. Wie das anhand der angebotenen Materialen und der Arbeitsaufträge geschehen soll, vermag man sich nicht so recht vorzustellen. Ebenso wenig wie den erzielbaren Erkenntnisgewinn.
Fazit: Abschließend ist hervorzuheben, dass die klare Strukturierung und die relativ eingängige Materialen sicher die Stärke der „Themenblätter“ darstellen und sie für den Einsatz in ganz unterschiedliche Schularten und Jahrgangsstufen geeignet erscheinen lassen. Ein erster Einstieg in die Thematik „30 Jahre deutsche Einheit“ gelingt so allemal. Mehr sollen diese Unterrichtsentwürfe auch nicht leisten; wer eine genauere Auseinandersetzung sich, wird sich anderswohin wenden.
Anregungen und Links zu Informationen und Materialien für den Unterricht
https://deutschland-ist-eins-vieles.de/lern-und-schulmaterialien
Die Webseite Wir sind eins: vieles der Bundesregierung bietet neben vielen Hintergrundinformationen auch eine umfangreiche Sammlung an Lern- und Schulmaterialien für Schülerinnen und Schüler der Grundschule und der Sekundarstufe I und II zu folgenden Themen:
- Nachkriegsteilung und Gründung zweier deutscher Staaten
- Opposition und Widerstand in der DDR
- Entspannungspolitik
- Friedliche Revolution
- Deutsche Einheit: Die Überwindung der Nachkriegsordnung
- Deutsche Einheit: Transformationsprozesse
- Deutsche Einheit: Freude und Skepsis
- Aktueller Stand der Deutschen Einheit – Berichte, Programme, Einrichtungen und weiterführende Angebote
https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/deutsche-einheit
Die Bundesregierung bietet auf ihrer Webseite zahlreiche Hintergrundinformationen rund um das Thema Deutsche Einheit. Besonders die Möglichkeit zum Download auf wichtige Dokumente und Erklärungen aus den Jahren 1989 bis 1991 bietet gutes Quellenmaterial für den Unterricht.
https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Deutsche-Einheit/_inhalt.html
Die Webseite des Statistischen Bundesamts Destatis bietet neben einem Deutschlandquiz ein umfangreiches Datendossier (24 Seiten) zu 30 Jahren Deutsche Einheit.
https://www.bpb.de/geschichte/deutsche-einheit/30-jahre-deutsche-einheit/
Die Bundeszentrale für politische Bildung bietet unter dieser Adresse eine Vielzahl von Materialien zu Politik, Wirtschaft und Gesellschaft des vereinigten Deutschlands an. Man findet Texte, Bilder; (Original)Filmaufnahmen, Zeitzeugeninterviews und vieles mehr. Eine wahre Fundgrube!
https://www.bpb.de/geschichte/deutsche-einheit/30-jahre-deutsche-einheit
Bundeszentrale für politische Bildung: „Alles Vereint? 30 Jahre deutsche Einheit.“ Themenblätter für den Unterricht, erarbeitet von Frank Britsche, Bonn 2020.
Die in der bewährten Reihe erschienenen Unterrichtsvorschläge zu „30 Jahre deutsche Einheit“ thematisieren auf einfache und materialreiche Art und Weise einige zentrale Aspekte der deutschen Einheit, die für eine erste Annäherung an zentrale Aspekte – Selbst-/Fremdeinschätzung, Umgang mit wirtschaftlichen Problemlagen (Arbeit der Treuhand), Zukunftsperspektiven – geeignet sind. Die klar strukturierten Arbeitsblätter liegen in Heftform (inkl. Kopiervorlagen und Lösungen) und als pdf (zur digitalen Bearbeitung). Sie können in unterschiedlichen Schularten und Jahrgangsstufen zum Einsatz kommen.
https://www.hdg.de/lemo/kapitel/deutsche-einheit
Das „Lebendige Museum Online“ des Hauses der deutschen Geschichte bietet unter den Überschriften „Deutsche Einheit“, „Baustelle deutsche Einheit“ und „Eine Nation – zwei Gesellschaften“ jeweils sehr knappe und konzise Darstellungen in leicht verständlicher Sprache. Über Untermenüs können viele Aspekte noch vertieft werden. „Jahreschroniken“ bieten zusätzliche Informationen. Für den Einsatz im Unterricht sehr empfehlenswert.
http://www.politikundunterricht.de/4_2019/einheit.htm
Degner, Bettina/Mühleis, Christian: 30 Jahre Deutsche Einheit, Stuttgart 2019, 64 S. ( = Politik und Unterricht. Zeitschrift für die Praxis der politischen Bidung, 4/2019, hrsg. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg)
Das vorliegende Heft bietet eine ganze Reihe gut ausgearbeiteter Unterrichtsentwürfe zu ganz unterschiedlichen Aspekten – historischen, wirtschaftlichen (Schwerpunkt Treuhandhandanstalt/Carl Zeiss Jean) und mentalitätsgeschichtlichen – des Themas. Daneben werden auch europäischen und globale – etwa die Auslandseinsätze der Bundeswehr – berücksichtigt. Vielfältige Materialen – Statistiken, Karikaturen, Texte, Bilder – stehen für den Einsatz im Unterricht bereit, teilweise auch als Links. Eine die geschichtliche Zusammenhänge knapp erläuternde Einleitung dient zu einer ersten historischen Orientierung und will die Schwerpunktsetzung einsichtig machen.
Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (Hg.): Vereint nach drei Jahrzehnten? (=„Bürger und Staat“, Heft 1/2, 2020)
Das vorliegende Heft erschließt sein Thema in drei unterschiedlichen Zugriffen; neben einigen knappen Überblicksdarstellungen mit politikgeschichtlichem und wirtschaftsgeschichtlichem Schwerpunkt finden sich zahlreiche sozialwissenschaftliche Beiträge, die – mit reichem Anschauungsmaterial in Form von Statistiken und Diagrammen versehen – vor allem die politische Kultur im wiedervereinigten Deutschland bescheiben. Am interessantesten dürften allerdings zwei „West-Ost-Autobiographien“ sein, die Erfahrungen von westlichen Publizisten auf ihrem Weg in und durch den Osten schildern.